Channelrhodopsin-1 und -2: Funktion und Anwendung einer neuen Klasse von Ionenkanälen

Forschungsbericht (importiert) 2005 - Max-Planck-Institut für Biophysik

Autoren
Nagel, Georg; Bamberg, Ernst
Abteilungen
Biophysikalische Chemie (Prof. Dr. Ernst Bamberg)
MPI für Biophysik, Frankfurt am Main
Zusammenfassung
Phototaktische Reaktionen der einzelligen Grünalge Chlamydomonas reinhardtii werden durch mikrobielle Rhodopsine als Photorezeptoren initiiert , deren Chromophor Retinal ist. Sequenzvergleiche mit anderen mikrobiellen Rhodopsinen aus Archebakterien – wie den lichtgetriebenen Ionenpumpen Bakteriorhodopsin und Halorhodopsin – zeigen eine Homologie von 15 bis 20 % mit zwei der Algenrhodopsine. Die hydrophobe N-terminale Hälfte mit circa 300 von 712 bzw. 737 Aminosäuren besteht jedoch aus einem hypothetischen Siebentransmembranhelixmotiv, wie dies für Rhodopsinmoleküle typisch ist. Ebenso wichtig ist es, dass einige Aminosäuren konserviert sind, die die Retinalbindungstasche und den Protonentransportweg des Bakteriorhodopsins darstellen. Kürzlich konnten wir zeigen, dass zwei dieser retinalbindenden Proteine aus dem Augenfleck der Alge nach Expression in Oozyten des südafrikanischen Krallenfrosches Xenopus laevis oder in HEK 293-Zellen lichtaktivierte Ionenkanaleigenschaften aufweisen. Die beiden Proteine wurden deshalb von uns Channelrhodopsin-1 und Channelrhodopsin-2 (ChR1 und ChR2) genannt. ChR1 ist ein selektiver Protonenkanal, während ChR2 neben Protonen eine Reihe ein- bzw. zweiwertiger Kationen leitet. Für beide Rhodopsine reicht die N-terminale Hälfte für die lichtgesteuerte Ionenkanalaktivität aus, womit wir demonstrieren konnten, dass das Siebentransmembranhelixmotiv eine neue Klasse von Ionenkanälen darstellt.

Retinalproteine (Rhodopsine) erfüllen in der Natur vielfältige Funktionen. Einerseits dienen sie in der Tierwelt als primäre Lichtrezeptoren beim Sehvorgang und gehören auf Grund der Funktionsweise zur Klasse der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPRC). Andererseits ist seit langem bekannt, dass Archebakterien mithilfe rhodopsinartiger Proteine wie dem Bakteriorhodopsin Lichtenergie nutzen, um über der Zellmembran Ionengradienten zu erzeugen, die dann wieder von der F1F0-ATP-Synthase zur Herstellung von ATP genutzt werden. Ferner werden Analoge dieser Proteine, die sensorischen Rhodopsine, zur Phototaxis der Archebakterien genutzt. Alle Rhodopsine bestehen aus der Proteindomäne, dem Opsin, das aus sieben Transmembranhelices besteht. Der Chromophor Retinal ist an ein Lysin in Helix7 kovalent über eine Schiff’sche Base gebunden. Für alle Rhodopsinarten liegen Strukturen mit atomarer Auflösung vor. Mikrobielle Rhodopsine sind Ionenpumpen, die Lichtenergie in einem vektoriellen Transport in einen elektrochemischen Gradienten über der Zellmembran umwandeln, der zum Beispiel zur Gewinnung von energiereichem ATP oder als Energielieferant für andere Transportprozesse genutzt wird. Oder sie dienen als Photorezeptoren, die über eine Signalkette das phototaktische Verhalten des jeweiligen Organismus steuern.

Kürzlich ist uns der Nachweis gelungen, dass zwei Retinalproteine aus dem Augenfleck der einzelligen Grünalge Chlamydomonas reinhardtii als lichtgesteuerte Kationenkanäle fungieren können. Die beiden Proteine wurden von uns als Channelrhodopsin-1 und -2 (ChR1 und ChR2) bezeichnet. Auf Grund einer Sequenzanalyse ergab sich, dass das Siebentransmembranhelixmotiv von ChR1 und ChR2, das etwa 300 von insgesamt mehr als 700 Aminosäuren enthält, eine Homologie zu der lichtgetriebenen Protonenpumpe Bakteriorhodopsin bzw. zu den sensorischen Rhodopsinen aus Archaea von 15 bis 20 % aufweist. Interessanterweise jedoch besteht ein Konsensusmotiv für die Retinalbindungstasche, und auch die für die Protonentranslokation essentiellen Aminosäurereste in den Positionen 82, 85 und 96 in Bakteriorhodopsin finden ihre homologe Entsprechung in ChR1 und ChR2.

Auf Grund dieser Homologien wurde von uns angenommen, dass ChR1 und ChR2 möglicherweise als lichtgetriebene Ionenpumpen arbeiten. Um dies zu überprüfen, wurden die beiden Proteine in Oozyten des südafrikanischen Krallenfrosches Xenopus laevis und in HEK 293-Zellen (Human Embryonic Kidney) exprimiert und einer elektrophysiologischen Untersuchung unterworfen. Zur Überraschung ergab sich, dass beide Proteine wie im Folgenden beschrieben direkt durch Licht aktivierbare Ionenkanäle sind. Damit wurde zum ersten Mal gezeigt, dass erstens das Siebentransmembranhelixmotiv konstitutiv für Ionenkanäle sein kann; zweitens, dass mit ChR1 zum ersten Mal ein für Protonen hochselektiver Kanal experimentell nachgewiesen wurde und drittens, dass mit ChR1 und ChR2 die ersten direkt durch Licht aktivierbaren Ionenkanäle beschrieben wurden.

Ionenkanaleigenschaften von ChR1 und ChR2

Channelrhodopsin-1

Expression von ChR1 in Oocyten von Xenopus laevis führt zu einer Protonenleitfähigkeit der Zellmembran. Im Vergleich zu der lichtgetriebenen Protonenpumpe Bakteriorhodopsin, die im Voltage-Clamp-Experiment in dem beobachtbaren Spannungsbereich von -200 bis +50 mV lediglich einen dem Pumpvorgang entsprechenden Auswärtsstrom zeigt, ist die Richtung der ChR1 induzierten Photoströme ausschließlich vom Protonengradienten und der angelegten elektrischen Spannung abhängig. Andere Kationen oder Anionen haben keine oder eine zu vernachlässigende Wirkung auf den die Photoströme beeinflussenden elektrochemischen Gradienten. Interessanterweise ergeben das vollständige Protein und die an der cytosolischen Seite verkürzten Formen des Proteins an den Schnittstellen in Position 315 beziehungsweise 350 der Peptidkette identische Photoantworten, woraus wir den Schluss ziehen, dass der membranständige Teil des Proteins mit dem Siebentransmembranhelixmotiv allein die beobachteten Photoströme induziert [1].

Channelrhodopsin-2

Das zu ChR1 homologe Protein ChR2 wurde in analoger Weise in Oocyten und HEK 293-Zellen exprimiert und auf Photoaktivität überprüft. Zunächst stellte sich heraus, dass ChR2 neben Protonen für eine Reihe einwertiger und zweiwertiger Kationen permeabel ist. Am Beispiel von ChR2 konnten wir auch eindeutig die Kanaleigenschaften nachweisen, indem zur Lichtanregung anstatt einer stationären Lichtquelle ein Laserpuls von 10 ns Pulslänge benutzt wurde. In einem derartigen Experiment konnte die unmittelbare Aktivierung des Photostroms mit einer experimentellen Zeitauflösung von circa 50 bis 100 μs bestimmt werden. Der Photostrom fällt je nach dem pH-Wert des Außenmediums exponentiell im 10 bis 100 Millisekundenbereich zum Ausgangswert ab. Dieses Experiment zeigt deutlich, dass hier kein gekoppelter Carriertransportmechanismus vorliegt, sondern durch Licht ChR2 unmittelbar in eine Konformation versetzt wird, die für Kationen eine hohe Permeabilität zeigt. Das heißt, würde ein Carriermechanismus vorliegen, würden auf Grund der relativ großen Relaxationszeiten, die in einem streng an die Proteinkonformation gekoppelten Transportzyklus den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt darstellen, um Größenordnungen kleinere Photoströme beobachtet als dies der Fall ist. Auch die von uns bestimmte niedrige Aktivierungsenergie für den Ionentransport stimmt mit dieser Schlussfolgerung überein. Die gemessenen Relaxationszeiten stellen somit die mittlere Lebenszeit der Kanäle dar (in Zusammenarbeit mit Peter Hegemann, Humboldt-Universität Berlin) [2].

Anwendungen

Auf Grund seiner Permeabilitätseigenschaften für ein- beziehungsweise zwei-wertige Kationen bietet sich ChR2 unmittelbar als interessantes Werkzeug an, um in nicht-invasiver Weise elektrisch erregbare Zellen durch Licht anzuregen oder wegen der Ca2+-Permeabilität durch Licht intrazelluläre Ca-Ionen-abhängige Prozesse anzuregen. Der „proof of concept“ wurde wie im Folgenden beschrieben erbracht, und weitergehende Studien an neuronalen Zellen bzw. am lebenden Tier (Caenorhabdis elegans) wurden in Zusammenarbeit mit anderen Forschergruppen durchgeführt. Zunächst konnten wir zeigen, dass ChR2-exprimierende HEK 293-Zellen unter physiologischen Bedingungen, d. h. in Gegenwart von 100 mM Na+ durch Lichtpulse depolarisiert werden. In einem weiteren Experiment konnten wir zeigen, dass ein lichtinduzierter Ca2+-Einstrom Ca2+-abhängige Chloridkanäle in Oozyten aktiviert [2]. In Zusammenarbeit mit Karl Deisseroth (Stanford University, CA) wurde ChR2 in neuronalen Zellen mithilfe eines Lentiviruskonstrukts exprimiert. Hier gelang es, durch kurze Lichtpulse Aktionspotenziale auszulösen und durch Auswahl der Pulssequenz die zeitliche Abfolge der Aktionspotenziale zu analysieren [3].

Eine weitere Anwendung stellt die Expression von ChR2 im Fadenwurm C. elegans dar. ChR2 wurde in Muskelzellen wie auch in mechanosensorischen Neuronen exprimiert und das Verhalten des Wurms nach Belichtung untersucht. In Muskelzellen exprimiert, zeigt der Wurm infolge eines Lichtpulses starke Kontraktionen, die auf eine Depolarisation der Zelle und/oder eine erhöhte intrazelluläre Ca2+-Konzentration zurückzuführen sind. Eine Mutante von C. elegans, die nicht mehr in den mechanosensorischen Neuronen den für den Tastsinn verantwortlichen Rezeptor enthielt, reagierte nach einem Lichtpuls durch Zurückzucken, eine Reaktion, die beim Wildtyp durch mechanische Berührung ausgelöst wird (in Zusammenarbeit mit Alexander Gottschalk, Universität Frankfurt am Main) [4].

Schlussfolgerung

Mit ChR1 und ChR2 wurde eine völlig neue Klasse von Ionenkanälen beschrieben, die sich durch die direkte Lichtaktivierung als einzigartig erwiesen haben. Mit dem für Kationen permeablen ChR2 eröffnen sich, wie bereits punktuell von uns gezeigt, vielfältige Möglichkeiten, in nicht-invasiver Weise einfach mit Licht mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung spannungs- bzw. Ca2+-sensitive Prozesse an einzelnen Zellen oder in Organen in transgenen Tieren auszulösen beziehungsweise zu analysieren, wobei der neurobiologische Aspekt hervorzuheben ist.

Originalveröffentlichungen

G. Nagel, D. Ollig, M. Fuhrmann, S. Kateriya, A. M. Musti, E. Bamberg and P. Hegemann:
Channelrhodopsin-1: A light-gated proton channel in green algae.
Science 296, 2395-2398 (2002).
G. Nagel, T. Szellas, W. Huhn, S. Kateriya, N. Adeishvili, P. Berthold, D. Ollig, P. Hegemann and E. Bamberg:
Channelrhodopsin-2, a directly light-gated cation-selective membrane channel.
Proceedings of the National Academic Sciences of the USA 100, 13940-13945 (2003).
E. S. Boyden, F. Zhang, E. Bamberg, G. Nagel and K. Deisseroth:
Millisecond-timescale, genetically targeted optical control of neural activity.
Nature Neuroscience 8, 1263-1268 (2005).
G. Nagel, M. Brauner, J. F. Liewald, N. Adeishvili, E. Bamberg and A. Gottschalk:
Light activation of Channelrhodopsin-2 in excitable cells of Caenorhabditis elegans triggers rapid behavioral responses.
Current Biology 15, 2279-2284 (2005).
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